Oppenheimer – Kritik: Schwächen sprengen den starken Rahmen

Im Los Alamos National Laboratory in New Mexico entwickelt der Physiker Julius Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) zusammen mit seinem Team unter der Aufsicht von Lt. Leslie Groves (Matt Damon) eine Nuklearwaffe. Doch als die tödliche Waffe in Hiroshima und Nagasaki eingesetzt wird, plagen ihn tiefe Zweifel und Schuldgefühle. Als Oppenheimer sich vehement gegen ein Wettrüsten mit Russland ausspricht und eine internationale Kontrolle der Kernenergie befürwortet, geraten seine früheren Verbindungen zum Kommunismus erneut ins Blickfeld.


Schmeißt alle Schwächen und Stärken von Christopher Nolan in einen Topf und mischt es – was herauskommt ist „Oppenheimer„. So überladen wie diese Beschreibung klingt, ist auch dieser Film überladen.

Der interessanteste Film des Jahres

Nolan kann es nicht lassen, sich selbst zu übertreffen. Größer, epischer, länger… in einem Film, der nichts davon gebrauchen kann. Obwohl der letzte Punkt, die Länge, noch einmal genauer betrachtet werden muss: „Oppenheimer“ ist zu kurz für die eigentliche Geschichte, die Nolan erzählen will, aber zu lang für Nolans entstandene Umsetzung. Das Thema ist derart komplex und verschachtelt, dass man für eine absolute Darstellung viele Blickwinkel und vor allem viel Zeit benötigt. Nolan versucht hier nämlich eine absolute Darstellung hinzubekommen und was entstanden ist, ist größtenteils ein unfokussiertes Schnittgewitter, welches versucht alle Aspekte in irgendeiner Weise unterzukriegen. Selbst das unspektakuläre Liebesleben Oppenheimers wird in diese überladene Wirrnis hineingepresst. Das macht Florence Pughs Charakter zum unnötigsten im ganzen Film und das, obwohl auch Alden Ehrenreichs Charakter existiert.



Um J. Robert Oppenheimer einzuführen und den Weg zum Bau der Atombombe zu erklären, benötigt es anscheinend eine 60 Minuten lange, „Trailerartige“ Zusammenfassung, die sich so anfühlt, als hätte es ein Prequel zu diesem Film gegeben. Es werden in zahlreichen, hin und her wechselnden Zeitebenen Namen genannt und Gründe erklärt. Es wird in einem solch schwindelerregenden Tempo aufgearbeitet, dass es gar nicht möglich ist, allen Punkten zu folgen. Christopher Nolan hilft sogar den Zuschauern, indem er bei der Nennung von Physikern regelmäßig einblendet, wie sie denn noch mal aussehen, da es so unglaublich viele Figuren gibt.

Die Filmmusik von „Oppenheimer“ erinnert dabei stark an „Inception“ und „Interstellar„, behält jedoch ihren ganz eigenen Charakter. Diesmal ist der schwedische Komponist Ludwig Göransson für die Musik verantwortlich, der bereits bei Nolans vorherigem Werk „Tenet“ brillierte. Göransson fängt geschickt die zugrundeliegende Stimmung von „Oppenheimer“ ein und Nolan setzt die Musik gezielt ein.

In der Mitte des Films erscheint dann ein Lichtblick (oder eher ein Atompilz) am Horizont. Alle, noch so verwirrenden Handlungsstränge werden in einem einzelnen fokussiert. So, dass Nolan es möglich macht, mal kurz durchzuatmen und den großartigen Szenen in Ruhe zuzuschauen. Alles läuft darauf hinaus, dass die Atombombe fertiggestellt und gezündet wird. Und dann, ja, wird die Bombe gezündet. Die beeindruckendste und aufregendste Szene des Jahres. Ausgerechnet im alles entscheidenden Moment des Films nimmt sich Nolan deutlich zurück: Der Ton wird inaktiv und die Bilder wechseln zwischen Nahaufnahmen der Wissenschaftler und Soldaten und der pilzförmigen Bombe. Atemzüge später wird der Ton wieder aktiv und die von der weit entfernten Sprengung ausgehende, spektakuläre Druckwelle erreicht das Forschungsteam – und all das mit praktischen Effekten. Dabei versteht es der Film, Momente der Stille subtil zu nutzen und den atemberaubenden Bildern den Raum zu geben, den sie zur vollen Entfaltung benötigen. Allerdings passiert dies in der Mitte des Films und „Oppenheimer“ hat mal eben die 180-Minuten Grenze in der Laufzeit überschritten…

Die dritte Etappe

Es fängt wieder an. Schnitte über Schnitte, Ortswechsel über Ortswechsel in verschiedenen Zeitebenen. Es wird ermüdend und erstaunlich monoton. Die Gerichtsverhandlungen, welche sich schon durch den ganzen Film ziehen, werden im letzten Drittel besonders in den Fokus gerückt. Die Sichtweise von Robert Downey Jrs Charakter, Lewis Strauss, die ähnlich wie in Memento, in schwarz-weiß eingetunkt ist, ist stumpfsinnig. Strauss erklärt sich und die Situation in ellenlangen Monologen zugrunde, so hilflos abgetrennt vom Rest des Filmes. Und damit es keine Selbstgespräche sind, gibt es den Charakter von Alden Ehrenreich, der schön daneben steht und stupide Kommentare abgibt. „Oppenheimer“ schafft es hier nie, irgendeinen Fokus beizubehalten.

Und Nolan kann es mal wieder nicht lassen, Plot Twists einzubauen. Plot Twists, die zwar nicht erwartbar sind, aber auch nicht überraschend, weil sie eben so unbedeutend sind – die blasse Dramaturgie Nolans scheitert an einigen Stellen, insbesondere aber im letzten Akt.

Die Elite Hollywoods

Auch bei der Besetzung kann Christopher Nolan seinen Größenwahn nicht unterdrücken. In „Oppenheimer“ treffen die besten Schauspieler unserer Zeit aufeinander. Nachdem Cillian Murphy in fünf Filmen von Nolan in einer Nebenrolle mitgespielt hat, bewältigt er in der ersten Hauptrolle, die, seines Lebens. Er kämpft gegen die Schwächen Nolans an und tut jede einzelne Sekunde das, was er am besten kann. Einen Charakter auf brillanteste Art und Weise zu porträtieren, wozu nur wenige Schauspieler in der Lage sind. Was er hier mit seinem Gesicht, seinen Augen, seinen Blicken anstellt, ist absolut krass. Aber nicht nur Murphy, auch Robert Downey Jr., Matt Damon, Emily Blunt, Florence Pugh – allesamt oscarreif. Selbst Matthias Schweighöfer spielt in seiner kleinen Nebenrolle anständig. Wie für Nolan üblich ist „Oppenheimer“ eine Ensemble-Leistung, bei der jede, noch so kleine Rolle mit namhaften Darstellern besetzt ist. Da kann man nur sehnsüchtig auf das blicken, was dieser Film hätte werden können.


2.9

Oppenheimer ist ohne Zweifel ein atemberaubendes Erlebnis, welches man, alleine wegen der Bilder, unbedingt im Kino erleben sollte und vielen Superlativen gerecht wird. Es ist schwierig, dieses Machwerk endgültig in ein Bewertungsschema unterzuordnen. Für das obere Feld, weist dieser Film zu viele Schwächen auf, für das untere zu viele Stärken. Es tut weh, Oppenheimerdann in die „belanglose Mitte“ einzuordnen, denn dafür ist jener eigentlich zu beeindruckend und besonders.

Jannis Franke
Jannis Franke

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