Die Corona-Pandemie und der langwierige SAG-AFTRA Streik haben in der Traumfabrik Hollywood tiefe Spuren hinterlassen. Folgen waren ein drastischer Rückgang der Kinoeinnahmen, ein schwächelndes Fernsehgeschäft und der Aufstieg der Streaming-Dienste. Diese anhaltende Unsicherheit in der Branche zwingt Studios und Filmschaffende, ihre Strategien grundlegend zu überdenken. Wir haben mit Roland Lindner, Wirtschaftskorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), über die gegenwärtige Krise und die Zukunftsperspektiven der Filmindustrie gesprochen.
Das Interview
MOVIELOY: Wie würden Sie die aktuelle wirtschaftliche Gesamtlage in Hollywood beschreiben?
Lindner: Die wirtschaftliche Lage in Hollywood ist im Moment ziemlich angespannt. Die Filmindustrie hat sich von der Corona-Pandemie nicht annähernd erholt. 2023 lagen die Einspielergebnisse auf dem amerikanischen Heimatmarkt trotz des „Barbenheimer“-Phänomens um mehr als 20 Prozent unter dem Niveau von 2019, also vor der Pandemie. In diesem Jahr sieht es noch schlechter aus. Die Umsätze liegen noch einmal deutlich hinter 2023 zurück. Der Sensationserfolg von „Alles steht Kopf 2“ und das ebenfalls sehr gute Einspielergebnis von „Ich – Einfach unverbesserlich 4“ zuletzt waren zwar ermutigend, reichen aber nicht, um das Ruder herumzureißen.
Lindner: Die Filmflaute ist nicht das einzige Problem für die großen Unterhaltungskonzerne in Hollywood. Das einst so lukrative Fernsehgeschäft lahmt, unter anderem wegen „Cord Cutting“, also weil viele Menschen heute auf Kabelanschlüsse verzichten und sich auf Streamingdienste beschränken. Disney-Vorstandschef Bob Iger beschrieb unlängst das Geschäftsmodell für Fernsehen in seiner klassischen Form als „definitiv kaputt“ – das ist eine ziemlich desolate Bestandsaufnahme.
Symbolisch für die schlechte wirtschaftliche Verfassung ist der gerade vereinbarte Verkauf des Unterhaltungskonzerns Paramount Global, zu dem die traditionsreichen Paramount-Filmstudios und Fernsehsender wie MTV gehören. Das ist eine Transaktion, die aus einer Position der Schwäche vereinbart wurde.
Anmerkung der Redaktion: Der Anteil der US-Haushalte ohne Telekommunikations-, Kabel- oder Satellitenfernsehanbieter wird im Jahr 2023 auf 60 Prozent geschätzt.
MOVIELOY: Inwieweit hat die COVID-19-Pandemie die Filmindustrie langfristig verändert?
Lindner: Die Menschen haben sich daran gewöhnt und auch Gefallen daran gefunden, Filme zuhause und nicht im Kino anzusehen. Es braucht also etwas Besonderes, um sie ins Kino zu locken. Bei „Barbie“, „Oppenheimer“ oder jetzt „Alles steht Kopf 2“ war das offenbar der Fall, bei vielen anderen Filmen aber nicht. Die Filmindustrie ist zwar überwiegend wieder davon abgekommen, Filme direkt auf Streamingdiensten zu veröffentlichen, wie sie das auf dem Höhepunkt der Pandemie und ein Stück weit auch danach gemacht hat. Aber insgesamt ist das Zeitfenster zwischen Kinostart und der Veröffentlichung auf einem Streamingdienst geschrumpft, und die Menschen können sich Kinofilme heute schneller zuhause ansehen als früher.
Netflix hat zu dieser Mentalität sicher viel beitragen. Das Unternehmen bringt seine eigenen Filmproduktionen entweder direkt oder nach einem sehr kurzen Zeitfenster auf seine Streamingplattform. Anders als die großen Unterhaltungskonzerne muss es als reiner Streaminganbieter auch keine Rücksicht auf ein traditionelles Kino- oder Fernsehgeschäft nehmen.
MOVIELOY: Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe, warum so viele Blockbuster derzeit floppen und wie
sehen Sie die Zukunft von Blockbustern in einer sich schnell verändernden Medienlandschaft?
Lindner: Die Filmindustrie setzt noch immer in hohem Maße auf alte und vermeintlich bewährte Rezepte, also zum Beispiel Fortsetzungen etablierter Filmreihen oder Superheldenfilme. Früher schien das eine recht risikoarme Strategie. Heute funktioniert es aber nicht mehr, das zeigen spektakuläre Flops wie „The Marvels“ oder „Furiosa: A Mad Max Saga“. Das heißt nicht, dass Fortsetzungen gar nicht mehr zu Blockbustern werden können, wie „Alles steht Kopf 2“ eindrucksvoll unterstreicht. Aber es ist eben kein Automatismus mehr. Und das bedeutet, das Filmgeschäft ist um einiges unberechenbarer geworden. „Sichere Wetten“ in dem Sinne gibt es nicht mehr, am verlässlichsten scheinen noch Animationsfilme, aber auch hier gab es einige Enttäuschungen. Umgekehrt hat „Barbie“ gezeigt, dass es auch Potenzial für positive Überraschungen gibt.
Anmerkung der Redaktion: „Alles steht Kopf 2“ liegt zu dem Zeitpunkt des Artikels schon bei weltweiten Einnahmen von knapp 1,5 Milliarden US-Dollar.
MOVIELOY: Welche Auswirkungen hatte der langwierige Streik auf die Wirtschaftslage?
Lindner: Die Streiks haben die ohnehin trübe Ausgangslage für 2024 zusätzlich erschwert. Mehrere Filme mit Blockbuster-Potential, die für dieses Jahr geplant waren, sind auf 2025 verschoben worden, darunter die achte „Mission Impossible“-Folge und der Pixar-Film „Elio“. Das mag ein vorübergehender Effekt sein, aber er verschlechtert die Stimmungslage in diesem Jahr zusätzlich. Und die Streiks treffen nicht nur die Einnahmen-, sondern auch die Kostenseite, und das ist ein längerfristiger Effekt. Die großzügigeren neuen Tarifverträge erhöhen die Kosten der Studios und damit den wirtschaftlichen Druck.
MOVIELOY: Inwieweit beeinflussen Streaming-Dienste die Einnahmen traditioneller Kinoveröffentlichungen?
Lindner: Streaming-Dienste sind ein wesentlicher Grund, warum die Menschen heute weniger ins Kino gehen als früher und warum entsprechend die Kinoeinnahmen sinken. Das wäre für die Unterhaltungsindustrie nicht so schlimm, wenn die Streamingangebote stattliche Gewinne abwerfen würden, aber das ist bisher die Ausnahme und nicht die Regel. Von den großen Streamingdiensten ist nur Netflix solide profitabel. Die meisten anderen Plattformen sind noch defizitär. Disney hat mit seinen Streamingdiensten wie Disney+ in den vergangenen Jahren Verluste von zusammengerechnet mehr als 10 Milliarden Dollar eingefahren und nähert sich erst jetzt der Gewinnschwelle.
MOVIELOY: Setzen einige Studios mittlerweile mehr auf die Veröffentlichung und Vermarktung auf Streaming-Diensten als auf die Einnahmen in Kinovorstellungen?
Lindner: Das haben sie eine Zeit lang getan – in der Hoffnung, dass Streaming ihnen ähnlich viel Geld einbringt als die Veröffentlichung im Kino. Disney zum Beispiel hat mehrere Pixar-Filme direkt auf Disney+ angeboten. Mittlerweile besinnen sich die Studios aber wieder mehr auf das Kino. Neben den Einnahmen an den Kinokassen geht es ihnen dabei auch darum, „Buzz“ für ihre Filme zu kreieren. In Hollywood setzt sich mittlerweile die Erkenntnis durch, dass dies besser funktioniert, wenn Filme tatsächlich im Kino anlaufen als, wenn sie direkt auf Streamingdiensten landen.
MOVIELOY: Wie wichtig sind internationale Märkte für den Erfolg von Blockbustern geworden?
Lindner: Die USA bleiben der Kernmarkt für die Hollywood-Studios, aber Auslandsmärkte haben enorm an Bedeutung gewonnen. Auch weil es in einigen Fällen gelungen ist, mäßige Einspielergebnisse in der Heimat durch ein besseres Geschäft im Ausland aufzuwiegen.
MOVIELOY: Welche weiteren Faktoren beeinflussen die Industrie derzeit am meisten?
Lindner: Im Streaminggeschäft gibt es derzeit größere Veränderungen, die die Verbraucher auch zu spüren bekommen. Nach Jahren der Goldgräberstimmung, in denen die Branche mit Geld nur so um sich geworfen hat, ist in der Branche Ernüchterung eingekehrt. Die Unternehmen haben realisiert, wie schwer es ist, mit Streaming Geld zu verdienen. Die Preise für Streamingdienste sind auf breiter Front gestiegen. Netflix und andere Unternehmen bieten außerdem billigere Versionen ihrer Plattformen mit Werbung an und erhoffen sich davon eine zusätzliche Einnahmequelle. Auch wird verstärkt versucht, das früher geduldete Teilen von Passwörtern zu unterbinden.
MOVIELOY: Welche technologischen Entwicklungen könnten die Filmindustrie in den nächsten Jahren inwiefern verändern?
Lindner: Künstliche Intelligenz könnte Gesetzmäßigkeiten und Machtverhältnisse in der Branche verändern. Das Thema hat auch bei den Streiks im vergangenen Jahr eine bedeutende Rolle gespielt. Drehbuchautoren haben die Sorge geäußert, die Hollywood-Studios könnten ihre Arbeit künftig zu einem großen Teil von KI-Systemen übernehmen lassen, Schauspieler haben argumentiert, KI könnte eingesetzt werden, um ihr Bild und ihre Stimme nachzuahmen. Der öffentlichkeitswirksame Streit zwischen dem ChatGPT-Hersteller OpenAI und der Schauspielerin Scarlett Johansson hat solche Sorgen unterstrichen. Wobei aus heutiger Sicht noch schwer zu sagen ist, wie disruptiv KI wirklich für die Branche sein wird.